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Chronik der Affären beim Thüringer Verfassungsschutz
6. September 2001:

Der Thüringer Landtag beschließt auf Antrag der PDS-Fraktion einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Er soll die Frage klären, ob der Thüringer Innenminister das Landesamt für Verfassungsschutz beauftragt haben soll, Informationen über den Bürgermeister der Stadt Blankenhain Schneider und den Beigeordneten der Stadt Blankenhain Peiko zu gewinnen.
24. August 2001:

In der "Thüringer Allgemeinen" wird Innenminister Köckert vorgehalten, er soll Roewer am 17. Mai 2000 den Auftrag erteilt haben, Kommunalpolitiker zu bespitzeln. Konkret soll es um den Bürgermeister von Blankenhain und einen Beigeordneten gegangen sein.

Der betreffende Bürgermeister, der eine freie Wählergemeinschaft vertrat, lag damals nach dem ersten Wahlgang mit 47 Prozent deutlich vor dem CDU-Kandidaten. Die Zeitung veröffentlicht Protokollauszüge. Das Innenministerium dementiert. Roewer behauptet dagegen, einen entsprechenden Auftrag erhalten zu haben.
25. Juni 2001:

Das Innenministerium in Erfurt bestätigt, dass der Verfassungsschutz 1996 die Kundgebung der Bürgerinitiative gegen Kommunalabgaben observiert hat. Die Zeitung "Freies Wort" hatte dies unter Berufung auf ihr zugespielte Computerdateien aus dem Innenministerium berichtet.
14. Juni 2001:

Brisante Computerdateien, die 1997 aus dem Thüringer Innenministerium verschwanden, sind nach einem Bericht der Zeitung "Freies Wort" aus Suhl wieder aufgetaucht. Der Zeitung seien Kopien von 1700 Einzeldokumenten mit umfassenden Informationen aus dem Verfassungsschutz von 1995 bis 1997 zugespielt worden. Die Daten gäben Einblicke in Struktur, Aufgabenverteilung und Personalangelegenheiten der Behörde. Die Original-Festplatten sollen nach Recherchen der Zeitung in der rechtsextremen Szene kursieren.

Erst im März 1998 war bekannt geworden, dass zwei Computer mit sensiblen Daten bei einem Umzug des Innenministeriums gestohlen worden waren. Der Neonazi und Verfassungsschutz-Spitzel Dienel soll ein Vertrauter des Firmenchefs sein, der für den Umzug des Innenministeriums verantwortlich war.
9. Juni 2001:

Der Thüringer Innenminister Köckert weist eigenes Fehlverhalten zurück. Das Landesamt für Verfassungsschutz habe mit den Spitzelhonoraren für den führenden Neonazi Tino Brandt keine rechtsradikalen Strukturen gestärkt. "Dass Brandt das Geld in die NPD gesteckt hat, ist eine reine Schutzbehauptung."

Den Anstieg rechtsextremistischer Straftaten in Thüringen erklärt er mit dem Bundestrend. Die Radikalisierung der Szene habe bereits Mitte der 90er Jahre unter seinem Vorgänger Dewes (SPD) stattgefunden.
6. Juni 2001:

Im Thüringer Landtag herrschen Meinungsverschiedenheiten über die Auflösung und Neugründung des Verfassungsschutzes. Die SPD ist für, die PDS gegen eine Neugründung. Das Innenministerium lehnt alle Auflösungsüberlegungen ab und verweist auf den begonnenen Erneuerungsprozess mit Amtsantritt des neuen Chefs, Thomas Sippel, im Herbst vergangenen Jahres. Der SPD-Politiker Gentzel will aber auch bei den regierenden CDU-Kollegen die Ersten ausgemacht haben, die für Auflösung und Neugründung sind.
5. Juni 2001:

Der Ältestenrat des Thüringer Landtages akzeptiert die Aufnahme des Antrags der SPD nach Auflösung und Neugründung des Thüringer Verfassungsschutzes in die Tagesordnung der nächsten Landtagssitzung. Bestätigt fühlt sich die SPD durch das Eingeständnis von Verfassungsschützern, die versicherten, dass die Einstellung der Spitzelarbeit vom Präsidenten "bis auf Widerruf" angeordnet wurde.

Brandt erklärt indes, seine von Geldern des Verfassungsschutzes getilgten Schulden stünden in einem direktem Zusammenhang mit dem Aufbau der rechten Szene und der Arbeit für das Amt.
30. Mai 2001:

Alle Informanten seien "ihr Geld wert gewesen", sagt Regierungschef Vogel und spricht Innenminister Köckert und der Führung des Geheimdienstes sein Vertrauen aus.
29. Mai 2001:

Der SPD-Politiker Gentzel zweifelt an einer Abschaltung des Neonazis Brandt. Die Ermittlungen des Innenressorts gegen SPD-Politiker wegen Geheimnisverrates bestätigen seine Vermutung, dass der Geheimdienst nach der offiziellen Abschaltung von Brandt für sieben Treffen etwa 7000 Mark gezahlt hat. "Wenn das stimmt, dann hat Brandt nach der Abschaltung ein höheres Monats-Salär erhalten als vorher", sagt Gentzel. Deshalb stelle sich die Frage, ob nicht die Abschaltung nur "formal zur Beruhigung" erfolgt sei und alles so "weiterlief wie bisher".
28. Mai 2001:

Das Thüringer Innenministerium stellt Strafanzeige wegen des Verdachts des Geheimnisverrats. Ein Ministeriumssprecher konkretisiert, es gäbe den "begründeten Verdacht", dass SPD-Politiker geheime Informationen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) an die Öffentlichkeit gebracht hätten.

Konkret wird dem SPD-Landeschef Matschie sowie dem Innenpolitiker Pohl vorgehalten, Details zur Affäre an die Medien gegeben zu haben. Verschiedene SPD-Politiker wehren sich gegen solche Vorhaltungen.

Unterdessen will der PDS-Politiker Ramelow Aussagen des Verfassungsschutz-Vize Nocken überprüfen lassen. Nocken wird von Ramelow verdächtigt, einen führenden Vertreter der rechtsradikalen Organisation "Blood & Honour" vor einer bevorstehenden Durchsuchung gewarnt zu haben. Die Durchsuchung fand im Zusammenhang mit dem Verbot der Organisation statt. Auch Nocken widerspricht der Vermutung.
26. Mai 2001:

Eine interne Richtlinie des Verfassungsschutzes, dass angeworbene Spitzel "weder die Zielsetzung noch die Aktivitäten eines Beobachtungsobjekts entscheidend" bestimmen dürfen, erscheint in einer Boulevardzeitung. Die Opposition vermutet eine gezielte Entlastungsaktion für den in der Spitzelaffäre Brandt angeschlagenen CDU-Innenminister Köckert. Selbiger bestätigt die Echtheit der Richtlinie.
25. Mai 2001:

Thüringens Innenminister Köckert erklärt, der Thüringer Verfassungsschutz setze keine rechtsextremen Spitzenfunktionäre als Quellen ein. Seit Amtsantritt des neuen Behördenchefs Sippel gebe es einen entsprechenden Erlass. Der Fall Dienel sei eine Lehre gewesen. Auch mit Brandt sei die Zusammenarbeit beendet worden, als dieser zum stellvertretenden Landeschef der NPD aufgestiegen sei.
22. Mai 2001:

Brandt bestätigt gegenüber dem ZDF, "mehr als einen fünfstelligen Betrag" erhalten zu haben. Damit sei Neonazi-Propaganda finanziert worden. Konkret nennt Brandt den "Thüringer Heimatschutz", eine als rechtsextremistisch eingestufte Organisation, Aktionen zur Erinnerung an Hitlers Stellvertreter Heß und den Aufbau einer Internet-Seite.

Die Oppositionsparteien bezeichnen es als einen Skandal, "wenn Steuermittel für die rechte Szene statt für die Prävention ausgegeben werden". Die PDS wirft Innenminister Köckert vor, dass dieser schon vor einem Jahr vom früheren Verfassungsschutzchef Roewer über die Zusammenarbeit mit Brandt informiert worden sei. Köckert dementiert.
19. Mai 2001:

Nach Angaben des "Spiegel" hatte der Thüringer Verfassungsschutz Kontakte zu einem weiteren rechtsextremistischen Funktionär. Bei dem inzwischen "abgeschalteten" Informanten habe es sich um einen Führer der seit September 2000 verbotenen Skinhead-Organisation "Blood & Honour" gehandelt.

Im Zuge des Verbots sei auch dessen Wohnung - erfolglos - untersucht worden. Staatsschutz-Beamte hätten vermutet, der Rechtsextremist sei vom Verfassungsschutz gewarnt worden. Zugleich teilt der Spiegel mit, Brandt sei auch nach seiner so genannten "Abschaltung" weiter für den Verfassungsschutz tätig gewesen. Unter dem Namen "Otto" habe er bis zu 40.000 Mark jährlich für seine Arbeit erhalten.
17. Mai 2001:

Auf Antrag von PDS und SPD befasst sich der Thüringer Landtag mit den Verhältnissen beim Thüringer Verfassungsschutz. Innenminister Köckert verteidigt die Anstellung von Informanten aus der rechtsextremen Szene. Es nütze nichts, nur "kleine Fische" zu beschäftigen. Quellen seien nur sinnvoll, wenn sie über einschlägige und verwertbare Informationen verfügen würden.
16. Mai 2001:

Die "Thüringer Allgemeine" informiert über ein einstündiges Gespräch zwischen einem Verfassungsschützer und NPD-Vize Brandt am 3. Mai in Coburg. Die Zeitung untermauert ihre Aussage mit Fotos, die den Hergang rekonstruieren.
15. Mai 2001:

Innenminister Köckert dementiert, dass hochrangige Nazifunktionäre für den Thüringer Verfassungsschutz arbeiten würden.
12. Mai 2001:

Die "Thüringer Allgemeine" informiert, dass Brandt seit Jahren für das Landesamt für Verfassungsschutz arbeite und dafür ein Honorar in sechsstelliger Höhe erhalten habe.
November 2000:

Der neue Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes Sippel kündigt an, keine rechtsextremen Führungskräfte mehr als Informanten einzusetzen.
August 2000:

Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, wird in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Innenminister Köckert - seit Herbst 1999 im Amt - erklärt zur Suspendierung, der Fall Dienel sei hierfür lediglich der Auslöser gewesen. Dem bisherigen Verfassungsschutz-Chef werden auch Verfehlungen bei Personalentscheidungen vorgehalten. Das Innenministerium ermittle gegen Roewer auch wegen möglichen Geheimnisverrats.
Juni 2000:

Roewer wird vom Dienst suspendiert. Auslöser dafür ist die wenige Tage zuvor bekannt gewordene Zusammenarbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz mit einem bekannten Neonazi, Thomas Dienel. Dieser soll für seine Informationen insgesamt 25.000 Mark erhalten haben.
Mai 2000:

Nach einer späteren Aussage des damaligen Verfassungsschutzchefs Roewer soll ihm Innenminister Köckert in der Landtagskantine den Auftrag erteilt haben, den Bürgermeister von Blankenhain auszuspionieren. Köckert wird diese Aussage vehement bestreiten. Mit dem Vorgang beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Landtages. Hier steht Aussage gegen Aussage.
1998:

Dienel, der in Erfurt das rechtsextreme Blatt "Deutschlands Stimme" produziert, erhält für Mitarbeiter des Blattes vom Arbeitsamt einen Lohnkostenzuschuss. Im gleichen Jahr werden in seinen Büroräumen Kopien gestohlener Fahndungsakten gefunden. Zuvor hatten andere Neonazis, die in den Besitz ihrer Original-Fahndungsunterlagen gelangt waren, Behörden mit diesen Materialien erpresst.
1996:

Der mehrfach einschlägig vorbestrafte Neonazi Thomas Dienel nimmt eine Informantentätigkeit für den Thüringer Verfassungsschutz auf. Für diese Arbeit bezieht er monatliche Honorare in Höhe von 1500 bis 1800 Mark. Dienels Arbeit für den Verfassungsschutz ist bis 1998 nachweisbar.
1995:

Das Amt des Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes übernimmt Helmut Roewer. Sein Dienstvorgesetzter ist zu dieser Zeit Innenminister Richard Dewes (SPD), der bis zur Landtagswahl 1999 im Amt ist.
07.10.2002 | 13:29  
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