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BerlinOnline


Datum:   24.07.1997
Ressort:   Politik
Autor:   Christoph Seils

Abwassergebühren treiben Anwohner auf die Straße

Der Osten zahlt jetzt die Zeche für überdimensionierte Kläranlagen / Bürgerinitiativen drängen in die Politik

In den neuen Bundesländern demonstrieren Betroffene zu Tausenden gegen hohe Abwassergebühren. Mit immer neuen Fördermitteln versuchen die Landesregierungen die Pleite von Abwasserbetrieben und die Zahlungsunfähigkeit von Kommunen zu verhindern.

Beim Thema Kommunalabgaben wird Lothar Seidel ungehalten. "Horror" nennt er die Trink- und Abwassergebühren, die viele sächsische Gemeinden ihren Einwohnern abknöpfen wollten. Anschlußbeiträge von bis zu 40 000 DM seien eine "kalte Enteignung". Lothar Seidel ist Vorsitzender der "Bürgerinitiative Soziales Sachsen", in der sich in den letzten beiden Jahren nach eigenen Angaben rund 250 örtliche Bürgerinitiativen gegen Kommunalabgaben zusammengeschlossen haben.

Gerissene Anlageberater aus dem Westen, unerfahrene Kommunalpolitiker und unrealistische Verbrauchsprognosen haben vielen Kommunen teure Abwassernetze beschert. Jetzt holen die hohen Kosten sie ein. Abwasserzweckverbände müssen Konkurs anmelden, Kommunen droht die Zahlungsunfähigkeit. Nach Schätzungen des Geschäftsführers des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg, Karl-Ludwig Böttcher, sind mindestens die Hälfte der 90 Abwasserbetriebe des Landes derzeit nicht überlebensfähig, bis zu 600 Kommunen des Landes könnten keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.

Der Streit um die Höhe von Gebühren und Abgaben treibt immer mehr Ostdeutsche auf die Straße. Im sächsischen Schönheide etwa nahm in der vergangenen Woche fast jeder zweite der 6 500 Einwohner an einer Kundgebung teil. In Glauchau traf man sich kürzlich bereits zum 22. Mal zur Montagsdemonstration. Rund 270 000 Menschen, so schätzt der Vorsitzende der Bürgerallianz Thüringen, Claus Möller, hätten dort bislang an den Versammlungen der 87 ihnen angeschlossenen Bürgerinitiativen beteiligt.

In Glauchau etwa soll eine vierköpfige Familie nach Berechnungen der örtlichen Bürgerinitiative über 1 300 DM Trink- und Abwassergebühren pro Jahr bezahlen, im mecklenburgischen Krakow am See werden bis zu 25 DM/m3 befürchtet, im thüringischen Kahla gar 33 DM/m3. Gleichzeitig müssen Grundstücksbesitzer Anschlußbeiträge zwischen wenigen tausend und mehreren zehntausend DM aufbringen. In vergleichbaren Regionen in den alten Bundesländern, so schimpft Lothar Seidel, werde nur ein Viertel von dem gezahlt, was von vielen Ostdeutschen abverlangt werde.

Doch die "Horrorzahlen" der Bürgerinitiativen sind umstritten und beruhen, so der Präsident des thüringischen Gemeinde- und Städtebundes Jürgen Gnauck, auf unseriösen Berechnungen. "Populisten", so Gnauck, schürten "von keiner Sachkenntnis getrübt" die Stimmung, ohne je einen Bescheid erhalten zu haben. Nach Ansicht von Thüringens Innenminister Richard Dewes hat das Land die Abwasserunternehmen in die Lage versetzt, "sozialverträgliche Beiträge und Gebühren" zu erheben. Die durchschnittliche Gebührenbelastung betrage etwa 8 DM/m3.

Die neuen Bundesländer lassen es sich viele hundert Millionen kosten, um die protestierenden Bürger zu besänftigen und die Pleite von Kommunen zu verhindern. Allein im Land Thüringen wurde der Bau von Kläranlagen und Abwassernetzen in den letzten drei Jahren mit fast 500 Millionen DM gefördert.

In Sachsen und Thüringen hat sich der Protest gegen Kommunalabgaben inzwischen zu landesweiten Protestbewegungen gemausert. Über 140 000 Sachsen haben einen Volksantrag der BiSS unterschrieben, der mehr Mitbestimmung in den Kommunen fordert. In Thüringen planen die Gebühren-Gegner nach dem Vorbild der bayrischen Freien Wähler den Einstieg in die Landespolitik. Die Gründung des "Volksinteressenbundes Thüringen" wird gerade vorbereitet. Sollte sich 1999 auf Landesebene das wiederholen, was Mitte Juni die thüringische Kleinstadt Kahla erschütterte, könnte Möllers Wählervereinigung für die etablierten Parteien 1999 zum Alptraum werden. An den Nachwahlen beteiligte sich auch eine "Bürgerinitiative gegen überhöhte Abgaben". Sie errang sechs der zwanzig Sitze im Stadtrat und wurde zweitstärkste Fraktion.

[Neue Suchanfrage]   [Weitere Artikel vom 24.07.1997]  

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