Von Lothar Klein Mit Deutschland sitzt der einstige ökonomische Musterschüler Europas auf der stabilitätspolitischen Anklagebank. Die Verlockung ist groß, dem Erfinder des Euro-Stabilitätspaktes den ersten Blauen Brief zu schicken und ihn an den Pranger zu stellen. Nicht vergessen sind in anderen Hauptstädten die teilweise oberlehrerhaften Warnungen des früheren Finanzministers Waigel vor "italienischen Verhältnissen".
Gemeint waren damals andere Euro-Kandidaten - nur nicht Deutschland. Jetzt haben sich die Zeiten geändert: Berlin hängt am Ende der Wachstumsschlange im Euroland. Die Steuerquellen sprudeln nicht wie erhofft. Zudem kostet Finanzminister Eichels Steuerreform Bund, Länder und Gemeinden Milliarden. Die Folge: Das Staatsdefizit schrammt haarscharf an der Drei-Prozent-Marke vorbei. Doch so kleinkariert funktioniert internationale Politik nicht, als dass es sich nur um eine Retourkutsche handelt. So einfach kann sich auch Kanzler Schröder die Sache nicht machen. Es droht Gefahr - und dass nicht nur für das Ansehen der rot-grünen Koalition im Wahljahr. Vielmehr könnte der Blaue Brief dem Versuch helfen, die Stabilitätskriterien aufzuweichen: Ist erst der Musterschüler ertappt, wäre ein starker Partner der Stabilitätsgaranten angeschlagen. Vielleicht, so die Hoffnung der Gegner strenger Haushaltsdisziplin, lässt sich die Tür für einen schleichenden Ausstieg einen Spalt weit öffnen. Gerade deshalb muss die Bundesregierung die Stabilitätswarnung aus Brüssel ernst nehmen. Der Euro muss auf den Geldmärkten noch um seine Anerkennung kämpfen. Jeder Zweifel an der Verlässlichkeit der Finanzpolitik der Euro-Staaten schadet diesem Ziel. Auch mit dem Schwarze-Peter-Spiel, die Verantwortung auf die Bundesländer zu schieben, lässt sich das Problem nicht beiseite schieben. Ausreden zählen nicht.
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