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23. August 2001

Umstrittenes Bauvorhaben

Die unendliche Geschichte eines Staudamms im Thüringer Holzland

Von Bernhard Honnigfort

Erfurt - Der Weg aus Sand und Schotter führt steil in den Wald, an kühlen Hängen vorbei windet er sich hoch und höher. An einer Biegung bleibt der Mann stehen. Von hier oben geht der Blick übers Tal. 485 Meter über Normalnull, steht auf einem Holzschild. "Schauen Sie sich das an", sagt der Mann, "so sieht typischer politischer Irrsinn aus."

Der Blick geht über das Tal der Lichte, eines kleines Flusses im Thüringer Holzland. Mitten darin sind gewaltige Kerben in die Hänge gegraben. Der graue Schiefergrund schimmert hervor. Über den Hängen sind große Betonfundamente eingelassen.

Auf ihnen wird ein Kranlaufwerk installiert, das sich über das Tal spannen soll. Darunter wird die Mauer empor wachsen. "Was Sie hier sehen, ist ein Staudammprojekt, wie es im Buche steht", sagt der Mann. "Für uns ist das der Alptraum." Burkhard Vogel heißt er, 37 Jahre alt.
Doktor der Biologie und Geschäftsführer des BUND in Thüringen, des Bundes für Umwelt und Naturschutz.

Mehrmals im Monat geht er den Sandweg von Unterweissbach hinauf in den Wald und sieht nach, was im Tal passiert, was das Projekt "Leibis" macht, der Bau einer der größten Staumauern in Deutschland. Womöglich geht im Tal der Lichte in den nächsten Monaten eine Geschichte zu Ende, die lange Zeit für unendlich gehalten wurde.

Ende der sechziger Jahre, in der DDR regiert noch Walter Ulbricht, hatte man den Wasserspeicher geplant: 102 Meter hoch die Staumauer, das ganze Tal gerodet und in eine Wanne verwandelt, darin über 50 Millionen Kubikmeter Wasser aufgestaut. Das Chemiedreieck Leipzig-Halle-Bitterfeld sollte mit dem Wasser versorgt werden - so die Pläne damals.

Noch zu DDR-Zeiten, 1981, begannen die Vorarbeiten für das sozialistische Großprojekt. Dann, 1989 fiel die Mauer, ein Jahr darauf verschwand die DDR. Mit ihr brach die marode Industrie zusammen, das Chemiedreieck war plötzlich ein Sanierungsfall und für das Wasser aus dem Lichtetal interessierte sich keiner mehr. Sachsen und Sachsen-Anhalt verabschiedeten sich schleunigst aus dem Projekt. Nur die Thüringer bauten weiter.

"Man hat versäumt, die Bremse zu ziehen", sagt Biologe Vogel. "Thüringen saß da mit einem Dinosaurier aus DDR-Zeiten." Es war ja auch schon eine Menge Geld verbaut worden, rund 300 Millionen Mark, schätzt man heute. Ein ganzes Dorf musste verschwinden. Leibis hieß es und hatte einmal 96 Einwohner, war vierhundert Jahre alt.

Der Staudamm in Leibis war jahrelang ein Zankapfel in der thüringischen Landespolitik. Die CDU war immer für den Weiterbau, die SPD war dagegen. Schließlich muss das Land seine Staumauer allein bezahlen. 700 bis 900 Millionen soll der Bau kosten, wenn er einmal fertig ist.

Niemand brauche die Mauer, hatte die SPD argumentiert, bis sie 1994 nach der Landtagswahl Partner in der Koalition mit der CDU geworden war. Als Regierungspartei rang sie sich zu einem Kompromiss durch: Die Mauer sollte um acht Meter auf etwa 93 Meter abgesenkt werden. Seitdem wird sie in den Kompromissmaßen gebaut.

Der BUND schenkte der SPD damals eine Matraze für die weiche Landung nach dem Umfaller. "Absurd", sagt Vogel, die unbedeutende Verkleinerung ändere nichts. Seit 1999 regiert die CDU allein in Thüringen und das Projekt Leibis spielt in der Landespolitik keine Rolle mehr.

Der Plan, ersonnen zu Walter Ulbrichts Zeiten, er ist geblieben, nur die Begründungen passten sich den veränderten Umständen an. Nachdem Leipzig-Halle-Bitterfeld als Wasserabnehmer ausfiel, begründete die Thüringer Talsperrenverwaltung den Bau mit dem steigenden Wasserbedarf in Ostthüringen, erklärt Umweltschützer Vogel.

Doch daraus sei nichts geworden: Der Wasserverbrauch liege unter dem westdeutschen Niveau, es gebe nicht die erwarteten Industrieansiedlungen, viele Menschen zögen der Arbeitslosigkeit wegen weg.

So geht der Streit seit Jahren zwischen den Umweltschützern und den Planern von der Thüringer Talsperrenverwaltung hin und her. Alle Argumente liegen auf dem Tisch, alles ist gesagt, alles ist gehört worden.
Natürlich befassten sich auch Gerichte mit der Auseinandersetzung.

Im Oktober geht eine letzte Verhandlung über die Bühne. Verliert der BUND, dann war es das. "Und in zwei, drei Jahren steht die Staumauer", sagt Vogel. Er geht den Sandweg zurück nach Unterweissbach. Die Tannen spenden Schatten und die Lastwagen dröhnen im Hintergrund.

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